Nach 24 Uhr sitze ich noch am See, höre mit meinem iPod Oldies und sehe in den nie endenden Sonnenuntergang. Morgens 9:00 Uhr markieren wir auf den Karten die beabsichtigte Strecke bis nach Burträsk quer durchs Landesinnere. Wir verabschieden uns von dem Heidelberger Ehepaar, um nach ca. 5 km die 4000-km-Hürde zu überschreiten. Es geht auf einer kaum befahrenen Straße, mit größeren Schotterabschnitten auf und ab, aber überwiegend aufwärts bis zum Scheitel von 225 m. Plötzlich bittet mich Karl-Josef zu halten und ich sehe zwischen den Bäumen unseren ersten Elch, ein wirklich gewaltiges Tier, das aber gemächlich wieder im Dickicht verschwindet, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Schade, die Sicht aufgrund der Bäume reicht weder zum fotografieren noch zum filmen. Aber Karl-Josef ist froh, dass er wenigstens einen Zeugen hat. Das Wasser ist uns bereits beim wilden Campen ausgegangen, ein Geschäft finden wir auf der ganzen Strecke in den kleinen Orten nicht und wir beschließen nach 71 km bei Svanström um 15:45 Uhr zu rasten und die Frühstücksreste zu vertilgen. Nachdem es auch dort keine Einkaufsmöglichkeit gibt und wir diesbezüglich auch für die Reststrecke pessimistisch sind, entscheiden wir uns für die im Westen liegende größere Stadt Skelleftea, die auch einen Campingplatz hat. Jetzt geht es auf guter Landstraße überwiegend bergab und wir sind schon um 17:30 Uhr nach weiteren 30 km an einem Supermarkt in Skelleftea angelangt, wo nebenan auf einer riesigen Bühne anlässlich des Stadtfestes die Akustik für ein Open-Air-Konzert getestet wird! Um 20:30 Uhr haben wir auch den Campingplatz gefunden.
Allgemeines: Auf dem Weg ist mir die ungeheure Weite des Landes aufgefallen. Auf meiner großen Landkarte entsprechen ein Zentimeter zehn Kilometern und man hat den Eindruck, kaum voran zu kommen. Auch haben wir jetzt überwiegend Gegenwind. Nicht nur Holz sondern auch Papier ist in Finnland und auch in Schweden reichlich vorhanden. Überall gibt es Papierspender. In den Campingküchen kann daher auch mit Papier abgetrocknet werden und man würde auch ohne Handtuch nach dem Duschen trocken werden. Seit den baltischen Staaten fahren wir überwiegend durch Wälder. (Der Schock wieder zu Hause zu sein wird daher hoffentlich nicht zu groß sein.) Auf den Campingplätzen sind mir besonders 10 X 10 m große „Hüpfburgen“ für Kinder aufgefallen, die als Dauereinrichtung im Boden eingelassen sind. Jedenfalls waren diese „Hüpfburgen“ immer sehr stark von Kindern allen Alters frequentiert. Sie können auch nur sanft im Gras landen.
Nachträgliche Gedanken über die letzten Wochen der Reise:
Kriegsdenkmäler auf dem Weg:
Ich möchte endlich ein Thema aufgreifen, dass Marianne angestoßen hat, indem sie von Werners Kriegsgefangenschaft in Tallinn berichtet hat. Über diese und verwandte Schicksale habe ich auf diesem − auch inneren Weg − oft nachgedacht. Besonders in Polen und den baltischen Staaten, aber auch in Finnland haben mich viele Kriegsdenkmäler an die Opfer erinnert. Auch an meinen 2002 verstorbenen Vater habe ich denken müssen, der irgendwo auf dieser Strecke aus russischer Kriegsgefangenschaft geflüchtet ist, nachdem er in Berlin mit 17 Jahren am sog. Endkampf − Mann gegen Mann! − teilnehmen musste. Aber auch sehr viel jüngere Kinder in den Kriegsjahren haben − bewusst oder unbewusst − mehr erlitten, als die Erwachsenen es sich vorstellen konnten oder wollten. Die Toten soll man ruhen lassen, der Krieg ist doch lange vorbei, uns geht es doch gut, höre ich oft. Aber der Krieg ist seit 1945 nicht weg, er wütet noch in vielen Seelen der Kriegsteilnehmer und auch deren Nachkommen. Der Feind steht nicht mehr erkennbar auf dem Schlachtfeld, sondern ist in die Seelen der Betroffenen gewandert. Der Feind, das sind unter traumatischen Erlebnissen verdrängte und abgespaltene, weil als unerträglich erlebte Gefühle z. B. von Panik, Wut und Selbsthass. Diese quasi energetisch aufgeladenen Bewertungen zeigen sich besonders in späteren Jahren als Stehaufmännchen. Sie kämpfen auch gegen den eigenen Körper. Diese „abgespaltenen Gefühle“ können auch übertragen werden. Letzte Gewissheit für eine Übertragung bekam ich jedenfalls, als mir ein ca. 65-jähriger Herr von den so „lustigen Geschichten“ seines Vaters aus dem Russlandfeldzug erzählte und nach einer Pause ohne äußeren Zusammenhang erwähnte, dass er jeden Tag schweißgebadet zur Schule gegangen sei. Auch diese Opfer verdienen unser tiefes Mitgefühl und Verständnis. Auch nach so vielen Jahren erinnern mich daher Denkmäler auch an die Opfer, die den Krieg zwar äußerlich heil überstanden, deren Seelen aber verwundet wurden. Marianne bin ich für ihren Anstoß zu diesen Gedanken sehr dankbar.






