Auf dem sich noch in einer Grundrenovierung befindlichen Campingplatz bereiten wir in der ungemütlichen Küche unser Frühstück. Auf Barhockern setzen wir uns an eine Arbeitsplatte, als Tischersatz. Eine Sitzgelegenheit mit Tisch, wie bei den anderen Campingplätzen ist hier nicht angedacht. Es geht zunächst weiter auf der E4, die hier als Hauptstraße durch die Stadt und auch noch weiter in Richtung Süden verläuft. Es gibt eine Reihe von Baustellen, die wichtigste ist eine im Bau befindliche lange Brücke, die ein Hafenbecken der Ostsee überspannen wird. Wir wechseln auf einen begleitenden Fahrradweg und fahren durch das Städtchen Kvissleby, das mit eingeschossigen Einfamilienhäusern aufwartet. In den Farben grau/blau, rot oder ockergelb sind die Häuser mit Holz verkleidet. Die Fenster immer weiß abgesetzt, es wirkt alles sehr gemütlich und dennoch dezent einfach. Steinhäuser fallen eigentlich schon eher auf, die neben Holzhäusern in Stadtzentren auch zu finden sind. Haben wir ein Glück. Als wir das Dorf Njurundabommern passiert haben, wendet sich der Wind erst zaghaft, dann zunehmend zu unseren Gunsten. Es geht nach Süden und da hilft eine unsichtbare Hand, die leicht von Norden mithilft. Die Sonne hält sich morgens noch scheu zurück und das Zwiebelprinzip (mehrere dünne Kleidungsstücke übereinander) wird ausgebaut. Hierbei ist immer zu berücksichtigen, dass bei Steigpassagen eine Wärmeentwicklung durch den Körper gegeben ist. Sind die Zwiebelschalen zu zahlreich, schwitzt man, d.h. es wird leicht feucht von innen heraus. Je dünner man angezogen ist, desto schneller ist der Trocknungsprozess der einzelnen Schalen. Hier hat so jeder seine eigenen Erfahrungen und Prinzipien. Dies gilt auch für die Strategien beim Befahren von Berg und Hügel. Im Gegensatz zu dem von Karl-Josef im Süden von Finnland beschriebenem kontrolliertem Treten, nehme ich dieses Vorwärtskommen gar nicht unmittelbar wahr. Das Wechseln der verschiedenen Gänge erfolgt aus dem Muskelgedächtnis heraus. Dieses kennt man ja z.B. vom Autofahren, wo Fuß und Hände die Kupplung bzw. die Gangschaltung betätigen, ohne, dass dies noch bewusst wahrgenommen wird. Musiker kennen dies ebenfalls. Hat man ein Stück einmal auswendig gelernt, dann gehen die Finger mehr oder weniger von selber in der Melodiefolge. Guckt man dann mal auf ein Notenblatt, kann es passieren, dass man diesen Automatismus verliert. Ich bin hingegen mit meiner Konzentration in der Aufnahme der Umgebung, die gerade durchfahren wird. Hier die Wildblumen am Wegesrand, da ein schön arrangierter Briefkasten, dort ein nettes rotes Holzhäuschen. Birken-, Kiefern- und zunehmend Fichtenwälder wechseln sich ab. Gelegentliche Waldlichtungen mit umgeknickten Baumwurzeln und Flecken mit blühenden Weideröschen, die den höheren Lichteinfall ausnutzen, um sich zu entfalten. Bemooste Felsbrocken und Flechtenteppiche als einzelne leuchtende Punkte bereichern die vorbeiziehenden Eindrücke. Im Falle, dass ich als Erster vorne fahre, habe ich mir auch angewöhnt, nach Erreichen einer Hügelkuppe, wenn der Tritt leichter und schneller wird, erst einmal in den Rückspiegel zu sehen, ob die Mitradler nahe genug hinter mir sind, um gegebenenfalls etwas langsamer zu fahren. Ich erfreue mich daran, wie gut mein Rad die verschiedenen Streckenprofile meistert. Wenn es aus einem bestimmten Grund mal ein plötzliches Anhalten gibt, z.B. die Suche nach dem richtigen Weg oder ein schönes Fotomotiv und ich dann in einem hohen Gang anfahren muss, merke ich welches Gewicht wir da mit 30-35 kg Gepäck durch die Lande bewegen. Im ersten Abschnitt unserer Tagesetappe geht es noch flach mit gelegentlichen Anstiegen um einen großen Binnensee. Die Straßensituation ändert sich häufig, über gutem Asphaltbelag bis zu gröbstem Schotterbelag haben wir heute reichlich Abwechslung. Gefühlte 40 % sind wir hier in Nord- und Mittelschweden über unbefestigte Straßen gefahren, überwiegend dem Cyklespåret folgend. Bei einer Mittagspause radelt eine junge Schweizerin mit bepacktem Rad vorbei, die wir heute und auch an den nächsten Tagen noch wiedersehen. Sie ist seit 2,5 Wochen von Kiruna (Grenzort zwischen Schweden und Norwegen auf dem Weg nach Narvik!) unterwegs. Natürlich bin ich neugierig, wie sie denn ihr Fahrrad dorthin bekommen hat. Komplett auseinander genommen, eingepackt und doch noch Ärger mit Bahnpersonal bekommen (aufmerksame Leser erinnern sich an meine Ausführung, dass die schwedische Bahn keine Fahrräder mitnimmt). Aber sie hatte zum Glück im Vorfeld dies mit der Bahnverwaltung abgestimmt und konnte damit letztlich bis Kiruna fahren. Nun möchte sie aber bis Malmö radeln, um mit der Fähre nach Dänemark überzusetzen um nicht erneut auf die Bahn angewiesen zu sein. Im Übrigen berichtet sie auch, dass sie auf Elche nicht in der von uns ständig beobachten Einsamkeit gestoßen ist, sondern als sie mal um 6:00 Uhr morgens (sie geht immer früh schlafen und war meistens schon spätestens um 7:00 Uhr wieder unterwegs) am Absperrzaun der E4 eine Elchkuh und, wie sie sich ausdrückte, mit einem Halbstarken beobachten konnte, den schützenden Zaun zwischen sich. Auch von einem jungen, dynamischen, deutschen Radler (Lehrer aus Hannover) werden wir überholt, der eine Zeit lang neben uns her rollt und berichtet, dass er die Ostseeumrundung in Etappen fährt und hierfür jeweils die Sommerferien nutzt. An einer Stelle gibt es auf meiner Karte einen Hinweis auf eine historische Stelle “Bruk från 1695“, die ich mit alter Brücke interpretiere. Wir fahren auf der Suche nach dieser Brücke eine Seitenstraße rein und stoßen auf eine alte Eisenhütte, die wunderschön restauriert wurde und uns die alten Zeiten nahebringt. Ein sehr mitteilungsfreudiger Schwede erzählt uns einiges zur Geschichte der Eisenhütte Galtströms Bruk, die sogar schon um 1672 beginnt und 1721 um einen Gießereibetrieb ergänzt wurde. Er bringt uns dann noch zu einem Schuppen, in dem eine alte, liebevoll gepflegte, Dampflok steht (lieber Georg S. nur für dich s. Foto). Auch hier berichtet er uns einiges zu. Das Eisenerz wurde über die Ostsee aus dem Süden von Schweden (also nicht aus Kiruna (s.o.) dem heute noch wichtigstem Eisenerz-Abbaugebiet Schwedens) mit dieser Lok aus dem Hafen hier in die Berge gebracht, da es Holz für den Schmelzprozess aber auch die Asche als Beimengung zur Genüge gab. Eine Sache war doch sehr interessant. Der Lokführer, der das Schätzchen in Betrieb nahm, hat die Lok bis zum Schließen der Eisenhütte 1918 durchgehend alleine und wahrscheinlich mit vollem Stolz fahren und hegen dürfen. Mittlerweile haben wir strahlenden Sonnenschein und es geht weiter, vorwiegend heute Nachmittag über Schotterpisten. Am späten Nachmittag kommen wir in Hudiksvall an, suchen aber vor der Fahrt zum Campingplatz, so wie es mittlerweile Gepflogenheit ist, erst einmal einen Supermarkt (hier in Schweden überwiegend ICA, ausgesprochen IKA). Auf dem Campingplatz werde ich erst einmal gefragt, wie groß das Zelt ist, da der Campingplatz restlos ausgebucht sei. Nachdem ich betonte, ein winzig kleines Zelt zu haben, wird uns ein Platz auf einem kleinen Flecken zugewiesen, wo wir dann unsere Schweizer Radelkollegin wiedertreffen, die bereits geduscht und schon zu Abend gegessen hat. Es gibt heute Nudeln mit Spinat und Rührei und dazu frische Erdbeeren mit Vanilleeis. Abends fängt es noch kräftig an zu regnen, aber da liege ich schon im Zelt und lasse mich von dem sicheren Gefühl eine trockene Nacht verbringen zu können sanft in den Schlaf trommeln.
PS: Den Schweizer Radkollegen Werni, Edi und Sepp unseren herzlichen Glückwünsch zum Erreichen des Nordkaps. Unsere Wünsche, dass sie gutes Wetter haben mögen (dies ist am Nordkap eher selten!) scheinen gefruchtet zu haben!


















